Texel, Geschichte

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Geschichte

Der „Russenkrieg"

Die Insel Texel erlangte die traurige Berühmtheit, kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges einer der letzten Kriegsschauplätze Europas gewesen zu sein. Bis Anfang 1945 blieb es auf Texel relativ ruhig. Seit der Kapitulation der Niederlande 1940 waren zwar deutsche Truppen auf Texel stationiert (die Insel war Teil des „Atlantikwalls", der zur Abwehr einer Landung der Alliierten geschaffen worden war), die von der texelschen Bevölkerung nicht gern gesehen wurden, vom Kriegsgeschehen selber jedoch wenig zu spüren. Zu Kriegshandlungen kam es erst, als deutsche Truppen und ca. 800 von ihnen zu Hilfstruppen rekrutierte sowjetische Soldaten aufeinander prallten. Dieses Ereignis ging als „Russenkrieg" in die Inselgeschichte ein, obwohl es sich bei den Soldaten um Georgier handelte. Diese befanden sich seit Januar 1945 auf Texel. Sie hatten als eines von vielen Sowjetvölkern unter Stalin an der Ostfront gegen die Deutschen gekämpft und waren dort in Gefangenschaft geraten. Als die Deutschen Verstärkung für ihr Heer benötigten, begannen sie, aus diesen Gefangenen Hilfstruppen zu formieren, die sogenannten Ostlegionen. Verständlich, warum diese Menschen sich mehr oder weniger freiwillig dazu bereit erklärten, in den Truppen ihrer Feinde zu kämpfen, wird es vielleicht, wenn man sich die katastrophalen Bedingungen in den Gefangenenlagern vor Augen führt. Völlig willkürliche Massenerschießungen waren an der Tagesordnung, man hatte weder Nahrung noch Kleidung oder Unterkünfte, der Frost setzte den Gefangenen außerdem zu. Ihre Überlebenschancen waren minimal, ca. die Hälfte der Lagerinsassen starb. Schloss man sich den Hilfstruppen der Deutschen an, bekam man wenigstens zu essen, vielleicht konnte man den Krieg überleben. Einige Kriegsgefangene hatten auch keine andere Wahl, wie Überlebende berichten. Entweder schlössen sie sich den Deutschen an, oder sie wurden auf der Stelle erschossen. Es ist den Georgiern jedoch vorgeworfen worden - ob mit Berechtigung oder nicht, sei dahingestellt -, dass sie sich leichter als andere Truppen haben anwerben lassen.

Ein Teil dieser Ostlegionen, eben jenes georgische Bataillon, wurde auf Texel stationiert.

Bereits bevor die Georgier auf die Insel verlegt wurden, diskutierten sie - zeitweilig zusammen mit der niederländischen Widerstandsbewegung - einen möglichen Aufstand. Auf Texel angekommen, suchten sie dann auch direkt Kontakt zur hiesigen Widerstandsbewegung. Die texelschen Widerstandskämpfer hatten allerdings von ihrer Zentrale die Weisung erhalten, sich auf der Insel ruhig zu verhalten. Viele Menschen waren hier untergetaucht, sie sollten nicht gefährdet werden. Auf der Insel schmiedeten die Georgier weitere Pläne für einen Aufstand, die Operation „Tag der Geburt". Sie hofften, dass sich sowjetische Truppen auf dem Festland dem Aufstand anschließen würden.

Die texelsche Widerstandsbewegung war über diese Pläne wage informiert. Man vermutete, dass die Georgier am 1. Mai losschlagen würden. Diese sahen sich jedoch zu einem früheren Handeln gezwungen, da sie überraschend zusammen mit den deutschen Truppen an die Front verlegt werden sollten. Der Aufstand begann in der Nacht vom 5. auf den 6. April. Es gelang den georgischen Soldaten direkt zu Beginn einige Hundert der überraschten Deutschen zu töten und das deutsche Hauptquartier „Texla" bei Den Burg einzunehmen. Nachdem die Deutschen sich von ihrem anfänglichen Erstaunen erholt hatten, schlugen sie erbarmungslos zurück. Verstärkung vom Festland wurde angefordert, der Befehl aus dem „Führerbunker" Hitlers lautete: Liquidierung aller Georgier. Wohl in dem Bewusstsein, dass auf beiden Seiten keine Gefangenen gemacht werden würden, verlief der Kampf erbittert und blutig. Die texelschen Widerständler kämpften zeitweilig auf der Seite der Georgier mit. Zwar hatten die Georgier erhebliche Erfolge zu verzeichnen, die Rückeroberung der Insel durch die Deutschen machte allerdings bereits nach einem Tag große Fortschritte. Die Chancen der Georgier zu siegen, waren von Anfang an schlecht. Insgesamt wurden ca. 4000 deutsche Soldaten gegen sie eingesetzt. Nachdem sie ihr Hauptquartier in Den Burg aufgeschlagen hatten, setzten die Bombardierungen des Dorfes auch aus Den Helder und von der Insel Vlieland her ein. Hunderte von Häusern wurden zerstört.

Die Kampfhandlungen verlagerten sich zunehmend auf den Polder Eierland. Hier lag der Flugplatz „Vlijt", der von den Georgiern heftig verteidigt wurde. Man hoffte auf Verstärkung durch die Alliierten, denen hier die Landung ermöglicht werden sollte. In erster Linie setzte man auf Hilfe aus England; der Kontakt sollte mit einem Sender hergestellt werden. Als sich diese Verbindung nicht aufbauen ließ, griff man auf einen alten Plan zurück. In der Nacht vom 7. auf den 8. April startete eine Delegation bestehend aus zehn Texelanern und vier Georgiern von De Cocksdorp aus mit dem Rettungsboot „Joan Hodshon", das heute im „Maritiem en Jutters Museum" in Oudeschild besichtigt werden kann, Richtung England, um Hilfe zu holen. Nach 24 Stunden erreichten sie planmäßig die englische Küste und äußerten dort ihre Bitte. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich die Niederlage des Deutschen Reiches jedoch schon ab, über die Kapitulation der Deutschen wurde verhandelt. Aus diesem Grunde wollten die Alliierten nicht mehr auf Texel eingreifen. Die Kampfhandlungen auf der Insel zogen sich jedoch noch über zwei Wochen hin. Die letzte Bastion der Georgier wurde der Leuchtturm im Norden bei De Cocksdorp. Nach erbitterten Kämpfen gelang es den Deutschen schließlich, auch diesen einzunehmen. Den überlebenden Georgiern blieb keine andere Wahl, als sich versteckt zu halten.

Am 22. April veranstalteten die Deutschen eine regelrechte „Treibjagd" auf der gesamten Insel, mit dem Ziel, alle überlebenden Georgier aufzuspüren und zu töten.

Der Großteil der 228 überlebenden Georgier (von 800) hat sein Leben der texelschen Bevölkerung zu verdanken. Während der gesamten Kampfhandlungen wurden die Georgier von den Insulanern unterstützt, obwohl hierauf die Todesstrafe stand. Sie wurden mit Essen und Kleidung versorgt, erhielten Informationen über die Truppenbewegung der Deutschen und man gewährte ihnen sogar Unterschlupf. Einige Texelaner versteckten zeitweise ohne Rücksicht auf das eigene Leben bis zu 20 Georgier. Bauernhäuser, in denen untergetauchte Georgier vermutet wurden, setzten die Deutschen rücksichtslos in Brand. Der Schaden am Eigentum der Insulaner war enorm. Zwischen den Bewohnern Texels und den Georgiern entwickelten sich trotz aller Widrigkeiten zum Teil Freundschaften, die den Krieg überdauerten. So wie der Krieg fast an Texel vorbeigegangen wäre, so wurde auch von der Kapitulation des Deutschen Reiches zunächst keine Notiz genommen. Die deutschen Sodaten weigerten sich, ihre Warfen niederzulegen. Die Kämpfe fanden erst mit der Landung der Alliierten (1. Kanadisches Armeekorps) ein Ende.

Im Juni 1945 verließen die Georgier Texel. Zwar hatten sie sich zunächst von den Deutschen als Hilfstruppen anwerben lassen, doch zeigte ihr Aufstand deutlich, wie sie zu diesen standen. In ihrer Heimat wurden sie jedoch erst 1956 offiziell rehabilitiert.

Auch die Texelaner dachten in den Nachkriegsjahren mit einem bitteren Nachgeschmack an die Kriegsgeschehnisse auf ihrer Insel. Durch den sich verhärtenden „Kalten Krieg" zwischen dem Westen und der Sowjetunion sind die freundschaftlichen Beziehungen, die sich zwischen Insulanern und Georgiern entwickelt hatten, fast vollständig auf Eis gelegt worden. Viele Texelaner suchten erst gar keinen Kontakt zu den Georgiern bzw. stellten diesen ein und blieben auch den Gedenkfeiern des Aufstandes am 4. Mai fern. Überprüfungen des nationalen Sicherheitsdienstes (BVD) und Repressalien der Behörden waren zu befürchten. Diese Angst war durchaus berechtigt. Viele Einwohner, die mit den Georgiern in Verbindung gebracht wurden, verdächtigte man, Kommunisten zu sein.

Auch den sowjetischen Botschaftern wurde lange Zeit die Teilnahme an den Gedenkfeiern erschwert. Sie durften nicht über die Militärbasis Den Helder anreisen, sondern mussten sich auf einem Boot der Reichswasserpolizei in Wieringen nahe dem Abschlussdeich einschiffen, um nach Texel zu gelangen. Diese Strecke betrug mindestens das Dreifache der Strecke Den Helder - Texel.

In diesem sinnlosen Kampf starben 572 Georgier und nach kanadischen Schätzungen 2347 Deutsche und 117 Texelaner.

Für die gefallenen Georgier wurde im Gebiet des „Hoge Berg" der Friedhof „Loladze" (benannt nach dem georgischen Kommandanten des Aufstandes) angelegt. Ein Denkmal auf dem Grab Loladzes erinnert an die Gefallenen. Alljährlich werden hier am 4. Mai während der Gedenkfeierlichkeiten Kränze niedergelegt. Der Friedhof kann das ganze Jahr über besucht werden.

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