Piraten-Terror: Deutsche Geiseln sind wie ein Sechser im Lotto
Der Hamburger Journalist Michael Kneissler (54) hat soeben das Buch Piraten-Terror - Organisierte Kriminalität auf den Weltmeeren im Delius Klasing Verlag veröffentlicht. In einem Interview erläutert er die Hintergründe der Piraterie und er nimmt Stellung zum aktuellen Piraten-Prozess in Hamburg.
Am 22. November hat in Hamburg der Prozess gegen zehn mutmaßliche Piraten aus Somalia begonnen, die am 5. April das deutsche Containerschiff Taipan überfallen haben. Sie wurden von einer Spezialeinheit der niederländischen Marine (UIM Unit Intervention Marines) an Bord der Taipan überwältigt und festgenommen.
Sind die zehn Männer, die jetzt in Hamburg vor Gericht stehen, Täter oder Opfer?
Kneissler: Sie sehen aus wie Opfer in ihren viel zu weiten Jogging-Anzügen. Aber das ist Prozesstaktik. Tatsache ist, dass sie in flagranti und schwer bewaffnet von niederländischen Spezialeinheiten auf dem Containerschiff Taipan überwältigt wurden.
Was war das Ziel des Überfalls?
Kneissler: Somalische Piraten haben ein kriminelles Geschäftsmodell entwickelt, das aus Geiselnahme und Erpressung besteht. Im Gegensatz zur klassischen Seeräuberei rauben sie nicht das Schiff aus, sondern entführen es mit Mann und Maus und geben es erst gegen die Zahlung von Lösegeldern wieder frei. Deutsche Geiseln sind wie ein Sechser im Lotto
dafür bekommt man viel Geld und mit Ärger wie bei den Franzosen ist kaum zu rechnen. Die schicken schon mal Spezialeinheiten an Land und knöpfen sich die Täter vor. Das höchste Lösegeld, das bisher bezahlt wurde, betrug 9,5 Millionen Dollar.
Wer verdient an der Piraterie?
Kneissler: Die Täter vor Ort bekommen ein paar hundert Dollar. Derjenige, der das Schiff zuerst entert, erhält allerdings meistens einen Geländewagen als Prämie. Richtig reich werden die Hintermänner, meistens Somalier, die im Ausland leben oder die örtlichen Warlords. Und natürlich die Anwälte in London, die die Verhandlungen führen und die Security-Firmen, die das Geld ausliefern.
Warum findet der Prozess in Deutschland statt?
Kneissler: Die Taipan gehört einem deutschen Reeder, fuhr unter deutscher Flagge und hatte deutsche Besatzungsmitglieder an Bord. Nach internationaler Rechtsauffassung können deutsche Gerichte den Fall beurteilen.
War es klug, die zehn Somalis nach Deutschland zu bringen?
Kneissler: Bisher hat die Bundesregierung versucht, Piratenprozesse in Deutschland zu vermeiden. Der Aufwand, der hier mit Dolmetschern und Anwälten betrieben wird, ist gewaltig. Eine Abschreckung gibt es nicht, weil dieser Prozess in Somalia niemanden interessiert. Und selbst wenn die Angeklagten verurteilt werden, ist es für sie eher Belohnung
als Bestrafung. So sicher wie in einem deutschen Gefängnis ist es nirgendwo in ihrem Heimatland, wo 3,5 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind oder in Bandenkriegen wahllos erschossen werden.
Können die zehn Angeklagten in Deutschland Asyl beantragen?
Kneissler: Selbstverständlich, egal ob sie verurteilt werden oder nicht. Und kein Gericht wird sie nach Somalia ausweisen, wo es jede Menge Gewalt und Hunger, aber keine Menschenrechte gibt. Im Gegenteil: Vermutlich haben die Betroffenen das Recht, ihre Familien nach Deutschland zu holen. Und dann werden sie vermutlich von staatlichen Transferleistungen leben. Besonders viele Jobs für Piraten gibt es in Deutschland nicht.
Zur Zeit gibt es täglich Meldungen von Schiffsüberfällen. Was geschieht eigentlich mit diesen Piraten?
Kneissler: Die meisten schaffen es, mit ihren Geiseln die Küste zu erreichen. Dort sind sie sicher. Im Moment halten somalische Piraten um die 30 Schiffe und 500 Besatzungsmitglieder in ihrer Gewalt. Chancen zur Befreiung gibt es nur, wenn sich die Schiffsbesatzung sich in schusssichere Panikräume flüchten kann, wie es einen auf der Taipan gab.
Was macht die internationale Kriegsflotte vor Somalia eigentlich?
Kneissler: Die beschützen hauptsächlich die Schiffe mit Nahrungsmitteln für die hungernde Bevölkerung in Somalia und einen Schifffahrtskorridor im Golf von Aden. Aber die Piraten sind unterdessen im ganzen indischen Ozean unterwegs. Der ist so riesig, den kann man gar nicht überwachen.
Gibt es eine Möglichkeit, die Piraterie zu beenden?
Kneissler: Es gibt zwei. Die erste ist, den islamistischen Milizen in Somalia die Macht zu überlassen. Die bekämpfen die Piraten mit höchster Effektivität. Danach sind die Piraten weg, aber dafür gibt es einen Terrorstaat mehr auf dem Globus. Die zweite Möglichkeit besteht aus einer historischen Erkenntnis: Piraterie muss konsequent und radikal bekämpft werden, wenn der Kampf Erfolg haben soll. Alle halbherzigen Aktionen nutzen nichts.
Ist der aktuelle Kampf gegen die somalischen Piraten konsequent und radikal genug?
Kneissler: Nein. Was da am Horn von Afrika passiert ist nicht viel mehr als eine Truppenparade. Alle wollen dabei sein, weil es eine Meeresregion mit großer Bedeutung für den Welthandel ist. Aber niemand will sich die Hände schmutzig machen.